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Anfechtung eines Ehegattentestaments

 

Die Anfechtung eines Testamentes oder Erbvertrages kommt in der Praxis des im Erbrecht tätigen Rechtsanwalt häufig vor, allerdings möchte ich gleich zu Beginn auf einen Unterschied zwischen der landläufigen Auffassung von einer Testamentsanfechtung und ihrer juristischen Bedeutung hinweisen: die meisten verstehen unter diesem Begriff jeglichen Angriff auf einem Testament, also beispielsweise auch Einwände gegen die Testierfähigkeit. Derartige Einwände sind jedoch keine Anfechtung im juristischen Sinne. Die Anfechtung eines Testamentes kann erklärt werden, wenn sich der Erblasser bei Abfassung des Testamentes in einem Irrtum befand. Eine solche Erklärung bedarf der notariellen Form und ist fristgebunden. Die Anfechtung wird dann durch einen übergangengen Erben erklärt, denn Erblasser kann ja jederzeit ein neues Testament errichten und braucht deshalb nicht anzufechten. Bei Erbverträgen und gemeinschaftlichen Testamenten kann es allerdings zu der Situation kommen, dass der Erblasser selbst seine testamentarische Regelung anfechten möchte, wenn das Testament oder der Erbvertrag bereits bindend geworden sind, also meist nach Tod des einen Ehegatten oder wenn ein Rücktritt nicht mehr möglich ist. Der Erblasser kann aus diesem Grunde nämlich nicht mehr sein Testament einfach widerrufen, sondern ist auf die Anfechtung angewiesen. Eine solche Anfechtung ist nur binnen Jahresfrist ab Kenntnis von dem Irrtum möglich.

Es stellt sich nun die Frage, inwieweit der Erbe noch das Anfechtungsrecht des Erblassers ausüben kann. Hierzu hat der Bundesgerichtshof in einem Urteil kürzlich Stellung genommen. Der Entscheidung lag ein Fall zu Grunde, in dem sich die Ehegatten im Jahre 1977 in einem gemeinschaftlichen Testament gegenseitig als Erben einsetzten und als Schlusserbin eine der beiden Töchter einsetzten, während sie die andere Tochter enterbten und ihr den Pflichtteil entzogen. Im Jahr 1985 errichtete der Vater ein Einzeltestament, in dem er seine Ehefrau als Alleinerben einsetzte. Nur dieses Testament lag dem Nachlassgericht bei seinem Tod im Jahr 1995 vor, weshalb dies einen Alleinerbschein für die Mutter ausstellte. Im Jahr 2012, nach dem Tod der Mutter, erteilte das Nachlassgericht beiden Töchtern einen gemeinschaftlichen Erbschein, der sie als hälftige Erben in gesetzlicher Erbfolge auswies. Es im Jahr 2013 wurde das Testament aus dem Jahr 1972 gefunden, weshalb die seinerzeit als Erbin eingesetzte Tochter nun einen Alleinerbschein beantragte. Die im Testament übergangene Tochter hat daraufhin das Testament aus dem Jahr 1975 wegen eines Motivirrtums ihrer Eltern angefochten. Sie für darin aus, dass die Eltern ihr bereits im Jahr 1978 wieder verziehen haben und der Grund für die harte Behandlung lediglich die Wahl des „falschen“ Studiums gewesen sei.

Der Bundesgerichtshof führt aus, dass das Anfechtungsrecht der Mutter (dies ist zunächst relevant, da sie ebenfalls die Tochter enterbt hatte und diese Verfügung aufgrund der nach dem Tode eingetretenen Bindungswirkung des gemeinschaftlichen Testamentes nicht mehr widerrufen konnte) bereits erloschen sei, da die Anfechtungsfrist (ein Jahr) mit dem Tod des Vaters im Jahre 1995 zu laufen begann. Da dieses Anfechtungsrecht erloschen sei, kann auch die übergangene Tochter als Dritte das Testament nicht mehr anfechten (§ 2285 BGB). Doch was ist mit dem Irrtum des Vaters? Dieser hatte ja seiner Tochter auch wieder verziehen. Hier greift die Regelung des § 2285 BGB nicht, da Interessenlage beim Tod des Erstversterbenden anders ist als beim Tod des Letztversterbenden. Der Erstversterbende hat jederzeit die Möglichkeit, sich von seiner Verfügung durch eine entsprechende Widerrufserklärung zu lösen, da sie in aller Regel noch nicht bindend geworden ist. Er befindet sich also anders als der Letztversterbenden nicht in der Situation, fristgebunden entscheiden zu müssen, ob er seine Verfügung anfechten möchte oder nicht. Der letztversterbende Ehegatte hingegen hat auf den Bestand der wechselbezüglichen Verfügung vertraut. Aus diesem Grund ist das Anfechtungsrecht für die Mutter zwar erloschen, aber das für den Vater nicht.

 

Für alle Fragen rund um das Thema Erbrecht stehe ich Ihnen als Rechtsanwalt jederzeit zur Verfügung.

 

Bundesgerichtshof, Urteil vom 25. Mai 2016, IV ZR 205/15

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