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Zugangsvereitelung

Rechtlicher Rahmen

Zugangsprobleme treten in der Praxis immer wieder auf, obwohl man eigentlich davon ausgehen sollte, dass die Übergabe eines Schriftstückes eine einfache Sache seien sollte. Ausgangspunkt ist die gesetzliche Regelung in § 130 Abs. 1 BGB, nach der ein Schriftstück unter Anwesenden dann zugeht, wenn sie durch Übergabe in den „Herrschaftsbereich des Empfängers gelangt“ ist. Aber wann ist das Schreiben im „Herrschaftsbereich“? Prinzipiell immer dann, wenn der Empfänger die Möglichkeit der Kenntnisnahme hat, er also in der Lage ist, vom Inhalt der Erklärung Kenntnis zu nehmen. Unter Anwesenden bedeutet dies, dass der Erklärende sein Schreiben auf den Schreibtisch legt und nicht wieder an sich nimmt. Lässt es der Empfänger liegen, so ist dies sein Problem – der Zugang war bewirkt, denn der Empfänger hatte die Möglichkeit, von dem Schreiben Kenntnis zu nehmen; und nur darauf kommt es an. Ob der Empfänger sich weigert, die Erklärung zur Kenntnis zu nehmen oder nicht, ist egal. Leider wird häufig der Fehler gemacht, anzunehmen, es komme auf die tatsächliche Kenntnisnahme an – er ist deshalb dringend zu vermeiden!

Unter Abwesenden geht eine Erklärung ebenfalls dann zu, wenn sie in die tatsächliche Verfügungsgewalt des Empfängers gelangt ist. Als weitere Voraussetzung muss der Empfänger jedoch unter den gewöhnlichen Verhältnissen die Möglichkeit haben, von ihr Kenntnis zu nehmen. Da die Post in aller Regel am Vormittag zugestellt wird, kann nicht mehr damit gerechnet werden, dass Schreiben noch am Abend zugestellt werden. Wird ein Schreiben also abends zugestellt, so gilt es erst als am nächsten Tag zugestellt.

 

Die Entscheidung

In der Entscheidung des BAG vom 26. März 2015 ging es um die Frage, wann eine Kündigung der im Rahmen einer Kündigungsschutzklage klagenden Arbeitnehmerin zugegangen war. Der Zugang gestaltete sich nämlich relativ turbulent. Die Beklagte trug folgenden Geschehensablauf vor: in einem Gespräch am 22.Oktober hätte sie der Klägerin die Kündigung „hingehalten“ woraufhin diese den Raum verlassen habe, ohne die Kündigung mitzunehmen. Zwei Mitarbeiter seien deshalb am Nachmittag zur Wohnung der Klägerin gegangen und hätten den Brief in den Briefkasten gelegt, nachdem die Klägerin erklärt haben soll, keine Zeit zu haben und das Haus verlassen haben soll. Die Klägerin hingegen sagte, in dem Gespräch am 22.Oktober sei es gar nicht um eine Kündigung gegangen und die Mitarbeiter seien auch nicht am Nachmittag des 22.Oktober, sondern erst am 23.Oktober zu ihr gekommen. Auf die Frage, welcher Tag es genau war, kam es in diesem Rechtsstreit ausschließlich an, da die Klägerin bei Zugang am 22.OKtober die dreiwöchige Klagefrist versäumt hätte.

Das BAG hat die oben geschilderten Rechtsgrundsätze auf den Fall angewandt und kam zu dem Ergebnis, dass die Klägerin den Zugang der Kündigung treuwidrig vereitelt hätte. Es beschäftigt sich dabei mit den vielfachen Auslegungsmöglichkeiten des Wortes „hingehalten“, dass die Beklagte in ihren Schriftsätzen immer verwendet hatte. Dies kann sowohl ein bloßes Zeigen, als auch einen Hinlegen auf den Tisch bedeuten. Wäre Letzteres der Fall, so hätten wir es hier schon mit einer Zugangsvereitelung zu tun. Das BAG erteilt dabei der Auffassung eine Absage, nach der die Beklagte ja die Möglichkeit gehabt hätte, die Kündigung bei der Weigerung der Klägerin in deren Wohnung zuzustellen. Die Klägerin habe damit rechnen müssen, bei der Besprechung eine Kündigungserklärung zu erhalten, denn „ein Arbeitnehmer muss regelmäßig damit rechnen, dass ihm anlässlich einer im Betrieb stattfinden Besprechung mit dem Arbeitgeber rechtserhebliche Erklärungen betreffend sein Arbeitsverhältnis übermittelt werden“. (Insoweit besteht hier eine Abweichung zur Rechtslage bei der Anhörung zu einer Kündigung, bei der dem Arbeitnehmer der Inhalt mitgeteilt werden muss.)

Das Verhalten der Klägerin in ihrer Wohnung bewertet das BAG als treuwidrige Zugangsvereitelung. Das Argument, sie sei nicht verpflichtet gewesen, das Schriftstück sogleich zur Kenntnis zu nehmen und zu jeder Minute für die Entgegennahme von Erklärungen des Arbeitgebers zur Verfügung zu stehen, ließ das BAG nicht gelten. Hier greifen nämlich die Grundsätze über den Zugang unter Abwesenden. Die Zugangsvereitelung lag in diesem Fall darin, dass die Boten darauf hingewiesen hätten, ihr einen Brief übergeben zu wollen. Die Klägerin hatte also Anlass dazu, in Ihrem Briefkasten zu schauen. Sie hatte damit unter den gewöhnlichen Verhältnissen die Möglichkeit, von dem Schreiben an diesem Tag Kenntnis zu nehmen. Hierin lag der Unterschied zu den üblichen Postzustellzeiten, nach denen ein Empfänger ja nicht weiß, ob eine Erklärung zugestellt werden soll.

 

Bundesarbeitsgericht, Versäumnisurteil vom 26. März 2015, 2 AZR 483/14

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