Scheinselbständigkeit
Gleich zu Anfang muss ich mit einem Mißverständnis aufräumen und die Erwartungen dämpfen: Das Gesetz stellt leider keine eindeutige Regelung auf oder gibt Kriterien vor, anhand derer die Frage beantwortet werden kann, ob jemand Selbständig oder Arbeitnehmer (sog. Scheinselbständigkeit) ist. Genau dies macht die gerichtliche Entscheidung im Einzelfall oftmals schwer vorhersagbar und führte zu zahlreichen falschen Vorstellungen. Sicher ist eines: maßgeblich ist stets eine sog. Gesamtbetrachtung des Einzelfalles, d.h. es wird das Vertragsverhältnis insgesamt angesehen und anhand dieses Gesamtbildes eine Beurteilung vorgenommen. Hierfür hat die Rechtsprechung Kriterien entwickelt, die jedoch nicht starr im Sinne eines Punktesystems (5:1 für Selbständigkeit) zu verstehen sind, sondern jeweils im Einzelfall unterschiedlich gewichtet werden (Stichwort Gesamtbetrachtung).
Es gibt jedoch einige Kriterien, die immer die Arbeitnehmereigenschaft (also Scheinselbständigkeit) nach sich ziehen. Diese sind vor allem die Gewährung von Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall und von Urlaub bzw. Urlaubsgeld. Vorsicht ist geboten bei der Anzahl der Auftraggeber: Auch wenn jemand mehrere Auftraggeber hat, so bedeutet dies nicht, dass es sich dabei um einen Selbständigen handelt, denn es kann sich durchaus um mehrere Arbeitsverhältnisse handeln. Auch wenn jemand zu 50 % für ein Unternehmen und die restliche Arbeitszeit für andere tätig ist lässt dies nicht automatisch den Schluss darauf zu, dass derjenige selbständig ist, denn es kann sich um ein Teilzeitarbeitsverhältnis handeln.
Ausgeschlossen wird die Arbeitnehmereigenschaft hingegen in aller Regel, wenn durch den Selbständigen weitere Mitarbeiter beschäftigt werden oder es sich hierbei um eine Gesellschaft handelt. Ausnahme: der Gesellschafter-Geschäftsführer einer GmbH, die keine weiteren Mitarbeiter beschäftigt, kann durchaus auch Arbeitnehmer sein.
Nach der Rechtsprechung ist jemand selbständig, der über Arbeitszeit, Arbeitskraft und Arbeitsort frei verfügen kann und ein gewisses Unternehmerrisiko trägt. Da dies immer noch recht schwer handhabbar ist (Das Handwerksunternehmen bekommt auch die Vorgabe, mit welchen Fliesen es das Bad zu fliesen hat und wann es das tun soll), stellt die Rechtsprechung weiterhin darauf ab, ob der Betreffende weisungsgebunden und in den Betrieb eingegliedert ist. Man sieht, dass dies alles noch wenig konkret ist, weshalb die Beurteilung stets individuell erfolgen muss. Sicher ist jedoch, dass es für die Beurteilung immer darauf ankommt, wie das Vertragsverhältnis tatsächlich durchgeführt wird und nicht, wie der Vertrag benannt wird.
Liegt ein Arbeitsverhältnis vor, so können sämtliche Ansprüche daraus vor den Arbeitsgerichten geltend gemacht werden – auch noch nach Jahren, soweit sie nicht verjährt sind. Es ist nicht ungewöhnlich, dass jemand erst nach Jahren feststellt, dass sein „Kooperationsvertrag“ in Wahrheit ein echtes Arbeitsverhältnis ist. Dazu folgendes Beispiel aus der Praxis: ein Arbeitnehmer ist für ein anderes Unternehmen als Kurierfahrer tätig. Hierzu wird ein Arbeitsvertrag geschlossen. Nach einem Jahr schließt der Arbeitgeber mit dem Arbeitnehmer einen Kooperationsvertrag, wonach er fortan als selbständiger „Servicepartner“ tätig werden soll. Der Arbeitsvertrag findet in diesem „Kooperationsvertrag“ weder Erwähnung noch wird er separat gekündigt. Da die Vergütung immer gezahlt wird, hat der Servicepartner über Jahre keinen Grund zur Beanstandung. Nun aber soll der Vertrag beendet werden. Bedeutsam ist dies nicht nur für die Gewährung von Kündigungsschutz, sondern auch im Bereich des Sozialversicherungsrechts. Stellt der Servicepartner nun nach Jahren fest, dass er weder kranken- noch rentenversichert ist, kann er sich bzw. die Krankenkasse auf den alten Arbeitsvertrag berufen (der nie gekündigt wurde und deshalb noch besteht) und die Nachzahlung der Sozialversicherungsbeiträge durch den Arbeitgeber verlangen. Besonders wichtig: der Arbeitgeber zahlt diese weitgehend alleine (auch den Arbeitnehmeranteil), denn er kann den Arbeitnehmeranteil nur max. drei Monate rückwirkend geltend machen. Genau diesen Folgen treten auch ein, wenn von Anfang ein solcher „Kooperationsvertrag“ vorlag, der sich im Nachhinein als