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Lohnfortzahlung und Alkoholabhängigkeit

Rechtlicher Rahmen

Für sechs Wochen hat der Arbeitgeber im Falle der Erkrankung des Arbeitnehmers Entgeltfortzahlung zu leisten, obwohl dieser nicht zur Arbeit erscheint. Dieser Anspruch auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall ist dann ausgeschlossen, wenn die Erkrankung des Arbeitnehmers durch diesen selbst verschuldet wurde. Man könnte nun auf den Gedanken kommen, dass die gesundheitlichen Folgen der Alkoholabhängigkeit stets selbst verschuldet sind, da der Arbeitnehmer ja selbst zum Glas greift und somit eine willentlich gesteuerte Handlung vorliegt. Zu diesem Thema haben sich die Ansichten durch die wissenschaftlichen Erkenntnisse mittlerweile sehr verändert. Es ist nun allgemein anerkannt, dass die aus der Alkoholabhängigkeit resultierenden gesundheitlichen Folgen eine Krankheit im Sinne des Entgeltfortzahlungsgesetzes darstellen, so dass deshalb grundsätzlich Anspruch auf Entgeltfortzahlung besteht. Das Bundesarbeitsgericht bringt es auf folgende Formel: Wird ein Arbeitnehmer infolge seiner Alkoholabhängigkeit arbeitsunfähig krank, so kann nach dem derzeitigen Stand der medizinischen Erkenntnisse nicht von einem schuldhaften Verhalten im Sinne des § 3 EFZG, dass zu einem Ausschluss des Entgeltfortzahlungsanspruchs führt, ausgegangen werden. Aufgrund der Vielschichtigkeit der Fallgestaltungen bestehen aber nach wie vor noch Unklarheiten in den Einzelheiten.

 

Inhalt der Entscheidung

Die Formel des Bundesarbeitsgerichtes gilt in aller Regel auch für den Rückfall nach einer erfolgreich durchgeführten Therapie, es sei denn es handelt sich um eine willentliche Herbeiführung des Rückfalls, die nur ein fachmedizinisches Gutachten feststellen kann – so lautet der Leitsatz der neuesten Entscheidung des Bundesarbeitsgerichtes von 18. März 2015 zu diesem Thema. In dieser Entscheidung konkretisiert das Gericht seine Anforderungen an einen schuldhaften Verstoß im Sinne des Entgeltfortzahlungsgesetzes. Erforderlich ist dazu „ein grober oder gründlicher Verstoß gegen das Eigeninteresse eines verständigen Menschen und damit ein besonders leichtfertiges oder vorsätzliches Verhalten“, so die Richter. Diese etwas unhandliche Formulierung füllen sie in der Entscheidung mit Leben, indem sie erstmals feststellen, dass nach heutigen wissenschaftlichen Erkenntnissen nicht mehr eindeutig festgestellt werden kann, was in jedem einzelnen Fall tatsächlich die konkrete Ursache für die Alkoholabhängigkeit war, insbesondere wie hoch der willensgesteuerte und damit vorwerfbare Anteil war. In älteren Entscheidungen hatte das Bundesarbeitsgericht noch angenommen, dass der Arbeitnehmer aufgrund in der Therapie erfolgten Hinweise und Gespräche die Gefahren des Alkohols kennt und damit ein solches vorwerfbares Verhalten beim Rückfall stets anzunehmen sei. Hieran hält das Gericht jedoch nicht mehr fest. Aufgrund der nach neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen festgestellten zahlreichen möglichen Ursachen der Alkoholabhängigkeit und des Rückfalls läßt sich diese Meinung nicht mehr aufrechterhalten, denn es kann stets auch eine nicht willentliche Komponente zum Rückfall geführt haben – und damit ein Verschulden ausgeschlossen sein. Das bedeutet aber nicht, dass sich damit der Arbeitnehmer immer auf dieses fehlende Verschulden zurückziehen kann. Das Gericht läßt nämlich die Möglichkeit für den Arbeitgeber zu, sich auf die Schuldhaftigkeit des Rückfalls berufen zu können. Hierzu muss der Arbeitgeber zunächst das fehlende Verschulden bestreiten, woraufhin dann der Arbeitnehmer die genauen Umstände und Gründe seines Rückfalles erklären und sich gegebenenfalls einer Begutachtung unterziehen muss. Lässt es sich danach nicht mehr eindeutig feststellen, ob der Arbeitnehmer den Rückfall verschuldet hat oder nicht, so geht dies zu Lasten des Arbeitnehmers.

 

Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 18. März 2015, 10 AZR 99/14

http://juris.bundesarbeitsgericht.de/cgi-bin/rechtsprechung/document.py?Gericht=bag&Art=en&nr=18065

 

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